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Wolfgang Ewert
Altes Dorf und neue Menschen [17]
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SCHWARZ IST BAUERNNOT |
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Willy Lojewski macht 1958 die erste Ernte als Genossenschaftsbauer
mit. Das Erntefest feiert er in der grossen Familie, zu der er jetzt gehört.
Ein fröhliches Fest glücklicher Menschen erlebt in Altwigshagen.
Die Genossenschaftsbauern sind bei Spiel und Tanz in ihrem gerade dieses
Jahr fertiggestellten Kultursaal beisammen.
Der Schmuck roter und schwarzrotgoldener Fahnen ziert das ganze Dorf.
Der Tag neigt sich. Der laue Spätsommerabend gebietet allem Lebenden
Ruhe. Die Tiere in den Ställen und auf der Weide legen sich satt
nieder. Die Stare haben die Früchte behangenen Bäume verlassen
und verstecken ihre Köpfchen im Gefieder. Aber es ist doch keine
Ruhe im Dorf. Es ist auch nicht allein der Kauz auf dem Galgenberg, der
die Stille durchbricht, sein Schrei gehört ja zum abendlichen Dorfschlummer.
Am anderen Ende der Dorfstrasse vor der hell erleuchteten Kulturbaracke
rufen übermütige Mädchenstimmen der Freundin, die sich
im Schatten des dicken Kastanienbaumes von ihrem Schatz umarmen lässt,
scherzhafte Empfehlungen nach. Aus dem Saal dringt Saxophongewimmer, Trompetengeschmetter,
Akkordeongedudel und ausgelassener Singsang alter, verrosteter Bauernkehlen,
übertönt von glashellen Jugendstimmen. Als machten Wein und
Bier nicht müde und faul, sondern gäben den Beinen und den Kehlen
neue Frische, so fordern die feiernden Bauern die Musik zu immer neuen
Tanzmelodien heraus. |
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Saure Wochen, frohe Feste... O ja, die Erntewochen verlangen auch den
Genossenschaftsbauern Kräfte ab, doch vieles geht schon schneller
und leichter in der Gemeinschaft. Sie haben allen Grund in dieser Gemeinschaft
Feste zu feiern.
Am Osterhimmel, dort, wo hinter den grossen Ueckermünder Wäldern
das Haff liegt, verfärbt sich der Horizont grünlich blau, wird
gleissend gelb und rötet sich langsam, um die neue Sonne zu empfangen.
Endlich sind die letzten aus der feiernden Dorfrunde aufgebrochen. Als
erste waren die Melker gegangen, die nach einem Stündchen Schlaf
jetzt, wo der Kultursaal gerade leer ist, schon wieder auf die Weide fahren
zum Melken.
Willy Lojewski führt sein Fahrrad durch die Gartenpforte, um gleich
seinen Melkerkollegen in die Melkkoppel zu fahren. Ehe er noch das Rad
besteigt, stutzt er. Am Fahnenmast vor seinem Haus, das der Kulturbaracke
gegenüber liegt, hängt statt der Fahne, die er zum Erntefest
gehisst hatte, ein schwarzer Tuchstreifen. Das Rot und Gold der Fahne
der Republik sind weg gerissen. Die Fahne der Republik ist geschändet,
die Republik wurde beleidigt.
In Windeseile hat sich die Kunde verbreitet. Das Dorf ist empört
über die feige Tat. Bei Willy Lojewski, der noch vor einem Jahr ein
Gegner der LPG war, wurde die Fahne herunter gerissen! Niemand zweifelt
daran, dass sich die Provokation gegen die Genossenschaft richtet. |
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Ebenso schnell aber wie die Nachricht von der zerfetzten Fahne ist
eine Parole im Dorf herum: Schwarz ist Bauernnot! Allein der Funke zündet
in Altwigshagen nicht mehr. Bauernnot? Wo? Bei uns? Lächerlich!
Die schwarze Fahne erhoben die Bauern in Deutschland immer dann, wenn
sie sich zum Kampf gegen ihre Zwingherren sammeln mussten, wenn ihre Not
den Punkt erreicht hatte, an dem sie unerträglich wurde.
Parteisekretär Gerhard Jugert spricht mit den Bauern über die
wahre Bauernnot in Deutschland. Dort, wo jeden Tag mehr als siebzig Klein-
und Mittelbauern ihre Wirtschaften aufgeben und sich irgendwo Arbeit und
Brot suchen müssen – und das seit Jahren schon – dort,
in Westdeutschland, steht über den Dörfern die schwarze Fahne.
Bauernnot – Herrenbrot. Die Not der Bauern war immer der Reichtum
der Prasser, der Nichtstuer. Das ist heute im Westen nicht anders, als
es zu Münzers Zeiten war. Der Bonner Staat, der von den Maltzan und
Borcke gestützt wird, vernichtet Schritt für Schritt den Bauernstand.
Er nennt das "Flurbereinigung". Er lässt auf Bauernland
"Getreidefabriken" entstehen. Der Bauer, der sein Land verliert,
wird Lohnsklave. Die Besitzer der Getreidefabriken, die vom Schlage Maltzan
und Borcke, und die wenigen Wachstumsbauern – mögen sie sich
nun Bauern nennen oder nicht – sie sind Kapitalisten, denen es gut
geht, weil die anderen Not leiden. |
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Willy Lojewski hat nach dem Vorfall mit seiner Fahne dreifachen Grund
zu sagen, dass er schon früher hätte der LPG beitreten sollen:
In der Genossenschaft arbeitet und lebt es sich nicht schlecht; vier Jahre
hat er neben der LPG gestanden und ihr nicht geholfen, aus den Kinderkrankheiten
heraus zu kommen; und sein langes Zögern, sein Ich-bin-gegen-die-Genossenschaft
hat den Feinden der Genossenschaft Hoffnung gemacht, im Dorf Verbündete
zu finden. Aber eben nur Hoffnung. Das Dorf gab dem feigen Provokateur
und denen, die ihn schickten, die einzig mögliche Antwort: Es setzte
1000:1 auf die Genossenschaft, es pfiff auf die schwarze Fahne, es lachte,
lachte vor Freude darüber, dass die Herren von "anno damals"
auch mit den schmutzigsten Mitteln nichts mehr erreichen können.
Der Feind hat die Flucht ergriffen. Und das ganze Dorf ist durch die Sache
mit Willy Lojewskis Fahne wachsam geworden. Nie mehr wird es Feinden der
Arbeiter und Bauern, den Feinden der Arbeiter-und-Bauern-Macht gelingen,
im neuen Dorf auch nur einen fussbreit Boden zu gewinnen. |
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